Dr.Estrich Als Handwerker in der Fremde, Teil I

Verfasser des Beitrags: Dr. Unger, Donauwörth, Fachjournalist und Autor des FUSSBODEN ATLAS®


Auf die feine englische Art

Wer heute  a ls Handwerker überleben will, dessen Horizont sollte nicht an der Landkreisgrenze aufhören. Dr. Unger berichtet in seiner Rubrik „Dr. Estrich“ exklusiv in bwd von seinen Auslandserfahrungen -Teil I: Swindon, England.

Das Weitwinkel-Panoramabild zeigt die ganze Dimension des Objekts.

„Natürlich machen wir Estrich in England. Aber könnten das Firmen vor Ort nicht preisgünstiger ausführen?“ Das waren ungefähr meine Worte, als uns ein befreundetes Architekturbüro anrief, um zu f ragen, ob wir bereit wären, schwimmenden Estrich in einem Warenverteilerzentrum in Swindon nahe Bristol zu verlegen. Der Kunde war Aldi England. Unsere Frage wurde mit dem Hinweis auf nicht zufriedenst, ellende Estrichleistungen beim Vorprojekt beantwortet. Große Flächen mussten wieder ausgebaut werden. Es kam zu Zeitverzögerungen, verbunden mit enormen Kosten. Im Rückblick glaube ich, dass es in England leicht ist, eine Fachfirma für den Betoneinbau zu finden. Man tut sich aber schwer, eine solche für den Einbau schwimmenden Estrichs auf Dämmung aufzutreiben. Dies mag daran liegen, dass es in England kein vergleichbares Ausbildungssystem wie i n Deutschland gibt. So genannte Facharbeiter, die heute Estrich einbauen, haben oft vor ei n paar Tagen noch als Lkw-Fahrer oder als Bäcker gearbeitet.
Ich erklärte mich damals bereit, ein Angebot
für dieses Objekt zu erarbeiten. Mit meinen Fremdsprachenkenntnissen (Englisch, Italienisch, Französisch, Spanisch) ging ich davon aus, nicht au f Sprachbarrieren zu stoßen. Die Angebotsbearbeitung war jedoch viel komplizierter als ich mir dies gedacht hatte. Es waren steuerliche Aspekte zu klären; beispielsweise die Frage, ob man einem ausländischen Kunden die Mehrwertsteuer berechnet, wenn das Gewerk in England verbleibt. Dazu ergab sich die Schwierigkeit, dass wir beim Wareneinkauf in England die Mehrwertsteuer zwar bezahlen mussten, jedoch diese nur in einem ungemein komplizierten Verfahren zurückerstattet bekommen würden. Zu Haftpflichtversicherung, Krankenversicherung für die Mitarbeiter, Transport des Lkw, der Pumpe sowie des Materials auf die Baustelle stellten sich weitere Fragen.

Schöner Sieg im Währungspoker

Viele Großhändler, bei denen wir diese Leistung anfragten, waren entweder nicht willens oder nicht in der Lage, alles per Spedition auf die Insel zu bringen. Diese und eine Reihe anderer Unsicherheiten waren meine Begleiter, als ich das Angebot mit einem flauen Gefühl in der Magengegend abgab. Es war realistisch kalkuliert, jedoch natürlich mit Aufschlag für die Tätigkeiten im Ausland. Danach härte ich erst mal ein halbes Jahr nichts mehr. Ich hatte die Angelegenheit schon fast zu den Akten gelegt, als der Ansprechpartner aus dem Architekturbüro mir mitteilte, dass man mir ein neues Leistungsverzeichnis (natürlich in englischer Sprache) übersenden würde, weil die Leistungen zwischenzeitlich modifiziert worden seien. Beim Ausfüllen des mit englischen Fachbegriffen gespickten Leistungsverzeichnisses sollte ich davon profitieren, dass ich meine estrichspezifische Dissertation auf Englisch verfasst hatte. Auf unser Angebot hin wurde ich kurzfristig zum Vergabetermin vor Ort nach Swindon geladen. Nachdem die Arbeiten bei Vergabe an uns sofort beginnen sollten, reiste ich mit einem Laser im Gepäck an. Tags darauf wurde ich mir mit den Verantwortlichen von Aldi England relativ zügig auf dem Verhandlungsweg einig. Es wurde vereinbart, die Währungsproblematik zu umgehen, indem statt in Pfund in Euro abgerechnet werden sollte; zum Umrechnungskurs am Tag der Vergabe. Dies sollte sich als günstige Lösung für uns herausstellen, da das Pfund im Zuge der Baustellenabwicklung im Vergleich zum Euro deutlich an Wert einbüßte und wir sonst um 15 bis 20 Prozent weniger Vergütung erhalten hätten. Wer solche Objekte angeht, dem kann ich diese Vergehensweise nur empfehlen. In England darf kurzfristig nur handwerklich tätig werden, wer vorher generalstabsmäßig festgelegt hat, welche Risiken bei der Ausführung der Arbeiten entstehen, was zur Vorbeugung unternommen wird und was, falls doch ei n Unfall passiert. Verlangt wurde ein Traktat von SO Seiten, alles auf Englisch. Darüber hinaus sollten wir sämtliche Datenblätter der einzubauenden Produkte bereitstellen. Dabei stellten wir fest, dass auch renommierte deutsche Hersteller nicht über englischsprachige Datenblätter verfügten. Manche Hersteller erklärten auf Anfrage, sie lieferten exklusiv für den deutschsprachigen Markt; und wer eine englische Übersetzung benötigt, der solle sich eben eine organisieren. Das zum Thema: Der Kunde ist König! Nachdem wir alle nötigen Unterlagen in aufwändiger Kleinarbeit besorgt hatten, konnten die Arbeiten beginnen. Bei der Unterbringung unserer Kolonne stellten wir fest, wie teueres in England ist, auch nur einfache Übernachtungsmöglichkeiten anzumieten. Und auf der Baustelle gab es rigide Sicherheitsvorkehrungen: Zutritt nur nach erfolgter Sicherheitseinweisung mit einem entsprechenden Ausweis.

Alarm, der Feuerlöscher ist weg!

Kontrolliert wurde das durch den Sicherheitsdienst. Auch Bauleiter mussten im gesamten Baustellen bereich zu jeder Zeit Helm, Warnweste, Sicherheitsschuhe tragen. Die Begeisterung der Estrichleger ob dieser Regelungen kann man sich vorstellen. Wer schon einmal versucht hat, Estrich mit Helm sowie Sicherheitsschuhen zu verlegen, der weiß, was ich meine. Interessant war ferner, dass es im gesamten Baustellenbereich untersagt war zu essen, zu trinken oder zu rauchen. Der Bauherr wollte sich so die Schwierigkeit zusätzlichen Mülls ersparen. In jedem Baustellenabschnitt befanden sich Feuermelde- und Löschstationen, die vom permanent anwesenden Sicherheitsbeauftragten mit Argwohn beaufsichtigt wurden. Die deutschsprachigen Firmen allerdings konnten es sich gelegentlich nicht verkneifen, ihre kleinen Scherze mit dem Sicherheitsbeauftragten zu treiben. Als ich gemeinsam mit ihm die Begehung durchführte, stellte er plötzlich fest, dass eine seiner geliebten Feuerlöschstationen verschwunden war, und rief empört aus:

,.Bioody hell! They stole my firestation!“

Ein großes Problem war die Tatsache, dass in England nur die Verwendung elektrischer Geräte mit 110 Volt Spannung gestattet ist. Man kann allerdings selbst unter Verwendung von Adaptern ohnehin kein elektrisches Gerät mit 220 Volt betreiben, da es nicht die gewohnte Leistung erbringen würde. Die meisten Probleme in Sachen Estrichtechnik hatten wir allerdings mit dem i n England verfügbaren Sand. Die auf der Insel anzutreffenden Gesteinskörnungen sind in der Regel viel zu fein für einen brauchbaren Estrich. Es blieb mir nichts anderes übrig, als eine ganze Reihe Sandlieferanten zu treffen, um die Bau­ stelle vernünftig abwickeln zu können. Einer brachte mir schließlich ein Muster von Marinesand mit einer Unmenge von kleinen Muscheln. Als ich ihm sagte, dass wir den Sand in einer größeren Körnung benötigen, meinte er, das sei einfach zu bewerkstelligen, indem er lediglich ei n paar mehr Muscheln beigeben würde. Weil uns dieser Vorschlag wenig praktikabel erschien, behalfen wir uns schließlich mit einer Mischung aus feineren Sanden und gröberen Gesteinskörnungen.

Der Rest kam aus Deutschland

Nachdem wir alle anderen Materialien bis auf den Sand aus Deutschland angeliefert hatten, lief die Verlegung der Estriche unter Berücksichtigung der üblichen Baustellenschwierigkeiten zufriedenstellend. Prinzipiell gilt: Wer sich auf Auslandsbaustellen einlässt, der sollte sich von Beginn an klar darüber sein, welche Aufgabenstellungen ihn im spezifischen Fall erwarten.
An einem Abend wollte ich unserer wackeren Kolonne etwas Gutes tun und sie zum Essen in ein typisch englisches Pub einladen. Dort angekommen, stellten wir fest, dass sich innerhalb der zurückliegenden Jahrhunderte nur wenig verändert haben mochte. Wir betraten einen mit Bierdunst gefüllten, dunklen Raum und nahmen beherzt die speckige Karte zur Hand – mit der typisch englischen Empfehlung: Tagliatelle alla Veneziana! Da entschieden wir uns doch lieber landesüblich für Fish and Chips.

Dr. Unger
lnfo@fussbodenatlas.de

Ihr Werkzeug für die perfekte Auslandsbaustelle:

1. Muss die MwSt. dem Kunden berechnet werden?
Häufig wird die MwSt. nicht berechnet. Im Einzelfall fragen Sie am Besten Ihren Steuerberater oder das Finanzamt.

2. Gibt es Einfuhrzölle auf in das Gastland verbrachte Waren?
Innerhalb der EU ist das häufig nicht der Fall. Hier hilft Ihnen das Zollamt in Deutschland weiter.

3. Sind Sie bei Tätigkeiten im Gastland haltpflichtversichert?
Aktuelle Versicherungsverträge beinhalten häufig bereits europaweite Leistungen (am besten beim Versicherungsagenten nachfragen). Außerhalb von Europa ist fast immer der Abschluss einer Zusatzversicherung vonnöten.

4. Kann ich meinen Lkw und die Pumpe im Gastland gegen Diebstahl versichern?
Das hängt sehr von dem entsprechenden Land ab. Häufig ist eine Versicherung jedoch nicht möglich, wenn es sich um potenziell ,unsichere‘ Länder handelt.

5. Muss ich meine Mitarbeiter bei Tätigkeiten im Gastland krankenversichern?
Dies ist sehr zu empfehlen und meist auch relativ günstig.

6. Soll man sich in Euro auszahlen lassen oder in der Landeswährung?
Ich empfehle, wenn möglich, eine Auszahlung in EUR bzw. die Festlegung eines fixen Wechselkurses.

7. Was ist in Sachen , Arbeitssicherheit‘ zu beachten?
Das hängt sehr vom entsprechenden Land ab. In den angelsächsischen Ländern sind üblicherweise die Sicherheitsvorschriften deutlich strenger als bei uns.

8. Kann ich meine elektrischen Werkzeuge ohne Weiteres im Gastland einsetzen?
Hier sollten Sie sich nach der entsprechenden Spannung im jeweiligen Gastland erkundigen. In angelsächsischen Ländern stehen häufig nur Lichtstromanschlüsse mit 110 V zur Verfügung.

9. Darf man im Gastland Alkohol trinken?
Hier sollte man vor allem in muslimisch geprägten Ländern sehr vorsichtig sein. Hier besteht teilweise strengstes Alkoholverbot, welches auch gegenüber Ausländern durchgesetzt wird.

10. Gibt es im Gastland geeignete Gesteinskörnungen zur Verlegung von Estrichen?
In vielen Ländern stehen nur sehr feine Sande zur Verfügung, die sich nicht für die Verlegung von Estrichen eignen. Dies gilt auch für Wüstensande! Im ungünstigsten Fall muss geeigneter Sand importiert werden.

11. Sind die Preise für Sand und Zement im Gastland ähnlich wie bei uns?
Je nach Region können die Preise deutlich abweichen. In Großstädten wie Paris verlangt man teilweise das Dreifache des bei uns bekannten Preises. Deshalb immer zunächst Angebote einholen.

12. Können in Deutschland tätige Baustoffhändler im Gastland Material anliefern?
Dies geht häufig über eine Spedition oder es gibt Firmen, die zu internationaltätigen Konzernen gehören – dann kann man evtl. auch direkt in Deutschland bestellen. Die Preise müssen jedoch deshalb nicht unbedingt günstiger sein.

13. Bestehen im Gastland die gleichen technischen Anforderungen an Fußböden wie bei uns?
Häufig sind die Anforderungen an Feuchteschutz, Schallschutz und Wärmeschutz deutlich geringer als bei uns. Dies ist aber aus meiner Sicht eine Chance für deutsches ’Know-How’.

14. Was macht man bei Mängeln an einer Leistung im Gastland?
Das kann sehr teuer werden: Ich empfehle eine Klausel, welche vorsieht, dass berechtigte Mängel kostenfrei behoben werden, die Anfahrt jedoch vom Auftraggeber zu bezahlen ist.

15. Welcher Gerichtsstand sollte bei Auslandsbaustellen vereinbart werden?
Wenn immer möglich, sollte als Gerichtsstand ein Ort in Deutschland und deutsches Recht vereinbart werden.

16. Was mache ich, wenn die Bauzeit länger wird als geplant?
Hier sollten Sie bereits beim Angebot Regelungen treffen. Vereinbaren Sie eine Mindestleistung pro Tag und Zuschläge für verlängerte Ausführungsfristen, wenn die Vorleistungen nicht rechtzeitig fertig sind. Vereinbaren Sie auch Preise für zusätzliche Anfahrten.

17. Soll man alle vom Auftraggeber gewünschten Vertragsbedingungen akzeptieren?
Das sollen Sie im Regelfall nicht tun. Schauen Sie genau durch, welche Punkte Sie akzeptieren können und welche gestrichen werden müssen.

18. Wie eng muss ich im Gastland kalkulieren?
Das hängt wiederum sehr von dem entsprechenden Land ab. Als Regel gilt: Auslandbau­ stellen müssen gut auskömmlich sein. Ein Risikozuschlag sollte in Ihren Preisen auf jeden Fall enthalten sein.

19. Woher weiß ich, ob mein ausländischer Auftraggebersolvent ist?
Dies ist häufig nicht immer ganz leicht herauszufinden. Es gibt jedoch auch hier entsprechende Auskunfteien, die Sie beauftragen können. Die Qualität der Information schwankt jedoch. Vereinbaren Sie am Besten Vorauszahlungen vor Baustelleneinrichtung und verein­ baren Sie einen Zahlungsplan.

20. Kann ich mit einem Ausländer die VOB vereinbaren?
Erkundigen Sie sich bei einem Rechtsanwalt! Man kann es zumindest versuchen, um eine rechtliche Basis für die Auftragsabwicklung zu erlangen.

21. Was mache ich bei nachträglichen Konstruktionsänderungen?
Vereinbaren Sie, dass die Kosten für solche Modifikationen vom Auftragnehmer zu tragen sind.

22. Wer führt am Besten Verharzungs- und Silikonierarbeiten durch?
Vereinbaren Sie mit dem Auftragnehmer, dass diese bauseits durchgeführt werden, da sie häufig zu einem deutlich späteren Zeitpunkt erfolgen, wenn Ihre Mitarbeiter schon nicht mehr vor Ort sind.

23. Wie steht es mit der Abnahme der Arbeiten?
Vereinbaren Sie im Vertrag die Durchführung der Abnahme sofort gemeinsam nach Fertigstellung der Arbeiten.

24. Ist es günstig, ein LV des Auftraggebers auszufüllen oder besser ein eigenes Angebot zu machen?
Machen Sie besser ein eigenständiges Angebot, um für Sie ungünstige Regelungen zu vermeiden.

 

 

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