Sonderkonstruktionen – Fluch oder Segen für Unternehmer?

Verfasser des Beitrags: Dr. Unger, Donauwörth, Fachjournalist und Autor des FUSSBODEN ATLAS®

Die Bayerische Bauakademie in Feuchtwangen lud am 09.03.2010 öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige im Fliesenhandwerk zu der Fortbildungsveranstaltung „Sonderkonstruktionen“ ein. Die Moderation hatte Herr Sachverständige Christian Geyer als Leiter der Landesfachgruppe Fliesen und Natursteine in Bayern inne.

Bild 1 Teilnehmer der Fortbildungsveranstaltun

„Das haben wir schon immer so gemacht“ versus „Innovation“

Zunächst beleuchtete Herr Rechtsanwalt Hilmar Toppe von der Bauinnung München die Thematik aus rechtlicher Sicht. Schnell wurde deutlich, dass Sonderkonstruktionen ein heißes Eisen sind. Einerseits muss es solche Konstruktionen geben, da es ansonsten keinen technischen Fortschritt gäbe. Hätte die Menschheit immer nur juristisch korrekt das Bekannte und Bewährte eingebaut, so hätte Monier zwar im 19. Jahrhundert die Grundlagen für unseren heutigen Stahlbeton legen können, jedoch hätte man ihn nicht verwendet, da man ja keinerlei Erfahrungen mit ihm hatte.

Wir sind rechtlich gehalten, gemäß den anerkannten Regeln der Technik zu arbeiten – also Produkte einzusetzen, die sich in der Praxis über die letzten 5 bis 10 Jahre bewährt haben. Man geht davon aus, dass ca. zwei Gewährleistungsperioden von dem Produkt erfolgreich durchlaufen sein sollten. Baut man ein Fabrikat ein, welches diesen Anforderungen nicht genügt, so ist es notwendig, den Auftraggeber darauf hinzuweisen. Dies ist unabhängig davon nötig, ob das Produkt vom Handwerker selbstständig angeboten wird, oder ob dieses in einer Ausschreibung enthalten ist. Weist der Unternehmer nicht darauf hin, so läuft er Gefahr, dass seine Leistung, unabhängig vom Vorliegen eines Schadens, als mangelhaft eingestuft wird. Dies ist nur deshalb der Fall, weil sie nicht den anerkannten Regeln der Technik entspricht. In der Folge hat der Kunde häufig sogar Anspruch auf Ausbau und Austausch gegen eine den anerkannten Regeln der Technik entsprechende Leistung. Dies wird von den Gerichten nur dann teilweise als nicht zumutbar angesehen, wenn die technische Gleichwertigkeit von einem Sachverständigen bestätigt ist. Viele Sachverständige werden sich jedoch dahingehend nicht sehr weit aus dem Fenster lehnen.

Untragbarer Zustand für Unternehmer

Ein großes Problem sah der Referent in der Tatsache, dass viele Produkthersteller bei Materiallieferungen einer reinen ‚Verkäuferhaftung’ unterliegen. Im Schadensfall sind sie oft nur verpflichtet, die gleiche Menge an mangelfreiem Material zur Verfügung zu stellen. Im Extremfall könnte dies wie folgt aussehen: Ein Unternehmer errichtet ein Haus und verwendet als unterste Steinreihe spezielle Betonelemente. Nachdem das Haus gebaut ist, stellt sich heraus, dass diese Betonelemente schadhaft sind. Wenn dies in seinen AGB entsprechend geregelt ist, so ist es möglich, dass der Hersteller nur neue Betonelemente zur Verfügung stellen muss und nicht oder nur zum Teil für Ein- und Ausbaukosten haftet. In diesem Zusammenhang spielt es auch eine Rolle, ob Mängelfolgeschäden vorliegen. Dieser aus Sicht der Bauunternehmer unerträgliche Zustand wird derzeit durch den europäischen Gerichtshof geklärt.

Fertigteilestriche und Entkopplungssysteme mit kleinen Macken

Als nächstes befasste sich Herr Dipl.-Ing. Peter Kunert, ö. b. u. v. Sachverständiger für Estriche mit den Sonderkonstruktionen in technischer Hinsicht. Er behandelte in diesem Zusammenhang in erster Linie Fertigteilestriche und Entkopplungssysteme. Bei den Fertigteilestrichen wies der Sachverständige darauf hin, dass diese in der Regel nicht für die Belegung mit keramischen Fliesen im Kleinformat <> 40 x 40 cm geeignet sind. Zudem sollte eine gewisse Fliesenmindestdicke vorliegen, sodass es bei Verformungen des Fertigteilestrichs nicht zu Brüchen kommt. Werden die Lastverteilungsplatten zu dünn, so kann es auch bei Verwendung geeigneter Trittschalldämmstoffe zu Schallproblemen kommen. Diese sind darauf zurückzuführen, dass die flächenbezogene Masse solcher Estriche häufig gering sein kann, was dann in der Folge zu Vibrationseffekten führt. Die Resonanzfrequenz lag bei einem gemeinsam berechneten Beispiel über 100 Herz, was bauakustisch ungünstig ist. Es ist sinnvoll, von dem Hersteller übergebene Prüfzeugnisse in dieser Hinsicht sehr genau zu lesen. Es besteht sonst die große Gefahr, dass der Unternehmer im Spannungsfeld der rechtlichen Interessen des Herstellers und des Auftraggebers auf der Strecke bleibt. Bei den Entkopplungssystemen entzündete sich eine Diskussion, wie weit die Prüfpflicht des Fliesenlegers geht, wenn dieser einen Altestrich mit einer Entkopplungsmatte versieht. Ist er überhaupt ohne Weiteres in der Lage, statisch die Tragfähigkeit einer vorhandenen Konstruktion zu beurteilen oder wäre dies nicht viel eher Aufgabe des Gebäudeplaners? Ist ein solcher bei kleineren Umbauten überhaupt greifbar? Häufig machen die Handwerker eigene Angebote auf direkte Bitte des Bauherrn und werden damit selbst planerisch tätig. Dadurch übernehmen sie automatisch eine höhere Verantwortung.

Teure Erfahrung

Wir selbst hatten in unserer Firma einen Fall, bei dem uns ein Bauherr bat, aus Gewichtsgründen einen Leichtestrich auf Fußbodenheizung oberhalb einer Holzbalkendecke einzubauen. Wir wiesen bereits schriftlich im Angebot darauf hin, dass solche Leichtestriche die Wärme nicht so gut weitergeben, wie dies z.B. bei konventionellen Nassestrichen der Fall ist. Der Natursteinleger platzierte im Anschluss seine Platten auf einem extrem porösen Mörtelbett und der Bauherr drapierte den Naturstein schließlich auch noch mit dicken orientalischen Teppichen. Es war also weiter kein Wunder, dass sich die Räumlichkeiten nicht ideal mit der Fußbodenheizung erwärmen ließen. Der Bauherr verlangte den für ihn kostenlosen Rück- und Neueinbau der Konstruktion, was wir natürlich mit Hinweis auf unsere schriftliche Warnung zurückwiesen. Es kam zu einem Prozess, in dessen Verlauf wir zur kompletten Übernahme des Schadens in Höhe von ca. 22.000,00 EUR verurteilt wurden. Begründung des Gerichtes war, dass die von uns angebotene beheizte Leichtestrichkonstruktion von vornherein untauglich war. Unsere Rechnungssumme belief sich übrigens nur auf 5.500,00 EUR netto! Dies Alles, obwohl der Estrich zu keinem Zeitpunkt einen Schaden aufgewiesen hatte.

Bild 2 poröses Mörtelbett unter Steinplatte

Bild 3 Temperaturmessung an dem beheizten Leistestrich

Wenn man von vornherein davon ausgeht, dass das Gewerk ohnehin nicht funktionieren kann, so hilft einem auch eine einfache Bedenkenanmeldung nicht weiter. Hier benötigt man eine ausdrückliche Haftungsfreistellung des Bauherrn. Verstößt der Einbau gegen gesetzliche Vorschriften (z.B. Brandschutz), dann muss man ganz von einem Einbau absehen, da man sich sonst möglicherweise strafbar macht oder sich zivilrechtlichen Ansprüchen Dritter aussetzt.

Tragfähigkeit der Unterkonstruktion beachten

Bei Durchsicht verschiedener Werbeaussagen von Entkopplungsmattenherstellern stellte sich heraus, dass z.B. ein Produkt für 500 kg pro m2 Tragkraft ausgelobt war. Eine solche Aussage kann jedoch nur dann getroffen werden, wenn auch der Altuntergrund eine solche Tragfähigkeit aufweist. Dies ist häufig nicht der Fall. Zudem werden teilweise für Calciumsulfatestriche relativ hohe CM-Grenzwerte für die Belegung mit Entkopplungsmatten angegeben. Einerseits haben Calciumsulfatestriche mit hohem Feuchtegehalt noch eine geringere Festigkeit, andererseits besteht die Gefahr, dass es beim Einsperren der Feuchtigkeit zu Schäden kommt. Auch hier erhebt sich wiederum die Frage, wer für diese aufkommt, wenn es später zu einem Schaden kommt. Hier ist es Aufgabe des eingeschalteten Sachverständigen, scharf zwischen Verlegefehlern und Systemfehlern zu unterscheiden.

Gibt es in der Praxis eigentlich reine Notabläufe?

Als letzter Programmpunkt referierte der ö. b. u. v. Sachverständige Gregor Wiedemann über Neuerungen im Bereich der Verbundabdichtungen. Er stellte in diesem Zusammenhang das folgende ZDB-Merkblatt vor: „Verbundabdichtungen – Hinweise für die Ausführung von flüssig zu verarbeitenden Verbundabdichtungen mit Bekleidungen und Belägen aus Fliesen und Platten für den Innen- und Außenbereich“, Stand: Januar 2010.

Interessant war in diesem Zusammenhang, dass dieses Merkblatt auch beim Vorhandensein von nur sporadisch genutzten Bodenabläufen die Verwendung eines Calciumsulfatestrichs ausschließt. Es gibt Bestrebungen im Estrichsektor, bei nicht planmäßig genutzten Bodenabläufen Calciumsulfatestriche in Verbindung mit Verbundabdichtungen zuzulassen. Hier stellt sich allerdings die Frage, ob in der Realität vorhandene Abläufe nicht doch genutzt werden. Man muss sie ja z. B. allein wegen der Geruchsentwicklung von Zeit zu Zeit spülen. Hierzu besteht wohl noch Klärungsbedarf zwischen den Verbänden. Ansonsten wurde von den Anwesenden heiß diskutiert, ob es grundsätzlich notwendig sei, unter einer Badewanne abzudichten. Hier hätten sich einige Anwesende eine deutlichere Regelung durch das Merkblatt gewünscht. Wichtig war die Anmerkung von Herrn Kunert, dass der Installateur dafür verantwortlich ist, dass Bade- und Duschwannen fest installiert werden, sodass es später nicht zu Abrissen der Dichtbänder kommt.

Die Veranstaltung zum Thema „Sonderkonstruktionen“ war ein Erfolg und ich kann bei einer möglichen Wiederholung den Besuch derselben wärmstens empfehlen. Dann haben Sie selbst die Gelegenheit, festzustellen, ob Sonderkonstruktionen für Sie ein Fluch oder vielmehr ein Segen sind.

 

 

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